30. Juli 2012

Nachhaltigkeit als zivilisatorischer Entwurf

Nachhaltigkeit ist einfach und kompliziert zugleich. Zum einen verstehen wir intuitiv, wovon die Rede ist: "Man darf die Kuh nicht schlachten, von der man morgen wieder Milch haben will," sagt der Volksmund. Zum anderen fällt es uns aber schwer, uns eine wirklich nachhaltige Gesellschaft vorzustellen. Praktisch alles müsste sich ändern, nicht zuletzt wir selbst. In einem nach wie vor lesenswerten Artikel aus dem Jahr 2001 schreibt Ulrich Grober:
"Viel hängt davon ab, ob es gelingt, den Begriff zu schärfen und die Idee zu entfalten, also ihr ganzes Spektrum und ihr volles Potential ins Spiel zu bringen. Nachhaltigkeit ist weit mehr als ein technokratischer Reißbrettentwurf zur intelligenteren Steuerung des Ressourcen-Managements, mehr als ein Begriff aus der Retorte von Club of Rome, Weltbank und UNO. Schubkraft bekommt die Idee, sobald sie als ein neuer zivilisatorischer Entwurf wahrgenommen wird, als ein neuer Entwurf, der allerdings in unseren Traditionen und in der menschlichen Psyche verwurzelt ist. Tradition und Innovation müssen keine Gegensätze sein. Ein gemeinsamer Vorrat an Werten, Ideen und Träumen ist eine wichtige kulturelle Ressource."
[aus: Ulrich Grober, Die Idee der Nachhaltigkeit als zivilisatorischer Entwurf; in: Aus Politik und Zeitgeschichte 24/2001, S. 3, Online-Version]
Wenn neuerdings verstärkt von green economy die Rede ist, gerät der von Grober (und vielen anderen) formulierte Anspruch des Konzepts Nachhaltigkeit ins Abseits der Debatte. Wir müssen uns und unsere Gewohnheiten nicht ändern, so wird suggeriert, die Wirtschaft erledigt das auf technologische Weise...

13. Juli 2012

Definition von Nachhaltigkeit

Die am häufigsten gebrauchte Definition von "nachhaltiger Entwicklung" stammt von Lester Brown, dem Gründer des Worldwatch Institute. Sie wurde in dem Bericht "Our Common Future" der Brundtland-Kommission aufgegriffen:
"Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs." [World Commission on Environment and Development (WCED), Our Common Future, Oxford 1987, p. 43]
Diese Definition von "nachhaltiger Entwicklung" wird zwar allgemein akzeptiert, aber sie sagt nicht viel aus. Fritjof Capra schlägt deshalb folgende Operationalisierung vor:
"Der Schlüssel zu einer funktionsfähigen Definition von ökologischer Nachhaltigkeit ist die Einsicht, dass wir nachhaltige menschliche Gemeinschaften nicht von Grund auf erfinden müssen, sondern sie nach dem Vorbild der Ökosysteme der Natur nachbilden können, die ja nachhaltige Gemeinschaften von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen sind. Wie wir gesehen haben, ist die herausragendste Eigenschaft des Erdhaushalts seine immanente Fähigkeit, Leben zu erhalten. Daher ist eine nachhaltige menschliche Gemeinschaft so beschaffen, dass ihre Lebensweisen ebenso wie ihre unternehmerischen, wirtschaftlichen und physikalischen Strukturen und Technologien die immanente Fähigkeit der Natur, Leben zu erhalten, nicht stören. Nachhaltige Gemeinschaften entwickeln ihre Lebensmuster im Laufe der Zeit in ständiger Interaktion mit anderen menschlichen und nichtmenschlichen lebenden Systemen. Nachhaltigkeit bedeutet somit nicht, dass die Dinge sich nicht verändern. Sie ist kein statischer Zustand, sondern ein dynamischer Prozess der Koevolution." [aus: Fritjof Capra, Verborgene Zusammenhänge. Vernetzt denken und handeln - in Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft, Bern u.a. 2002, S. 298]
Mehr zum Thema "Was ist Nachhaltigkeit?" im Online-Lehrbuch auf D@dalos...

2. Juli 2012

Wohlstand ohne Wachstum? - APuZ 27-28/2012

In einem früheren Posting habe ich auf die Fülle an qualitativ hochwertigen Informationen hingewiesen, die von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) zum Thema Nachhaltigkeit bereitgestellt werden. Hierzu gibt es seit heute eine aktuelle Ergänzung, nämlich die Ausgabe 27-28/2012 der wöchentlich erscheinenden Zeitschrift "Aus Politik und Zeitgeschichte", die dem Thema "Wohlstand ohne Wachstum?" gewidmet ist.

Die Aufsätze reflektieren teilweise die Arbeit der Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität - Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft" des Bundestags. Die folgenden Kurzbeschreibungen stammen von der bpb-Website:

Inhalt

Meinhard Miegel: Welches Wachstum und welchen Wohlstand wollen wir? - Essay
Ulrich Brand: Wachstum und Herrschaft - Essay
Beide Beiträge sehen durch das herrschende Wachstumsparadigma die Tragfähigkeitsgrenze der Erde erreicht. Während der erste die Einstellungen von Menschen fokussiert, sieht der zweite eine Verbindung zwischen Wachstum und Herrschaft.

K.-H. Paqué, B. Jochimsen, M. O. Bettzüge, U. Schneidewind: Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität: aktuelle Debatten
Die Autorin und die Autoren dieser Beiträge sind Sachverständige Mitglieder der Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wachstum und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft“ des Deutschen Bundestags.

Christian Kroll: Wir brauchen neue Indikatoren – und ein Glücks-Audit für die Politik! - Essay
Neue Indikatoren für das Wohlergehen des Landes sind unabdingbar. Zur Verbesserung von Politikmaßnahmen ist eine systematische Gesetzesfolgenabschätzung unter Einbeziehung der Erkenntnisse der Glücksforschung notwendig.

Till van Treeck: "Wohlstand ohne Wachstum“ braucht gleichmäßige Einkommensverteilung
Während kurzfristig hohes Wirtschaftswachstum nötig sein dürfte, um die ökonomische Ungleichheit in vielen Staaten zu reduzieren, wird längerfristig erst die Reduzierung der Ungleichheit den Wachstumszwang überwinden helfen.

Johannes Hoffmann, Gerhard Scherhorn: Nachhaltigkeit als Herausforderung für die marktwirtschaftliche Ordnung. Ein Plädoyer
Noch passt die Marktwirtschaft nicht zur nachhaltigen Entwicklung, weil der Wettbewerb die Externalisierung von Kosten auf Gemeinressourcen erzwingt. Anknüpfungspunkte für Reformen bietet das Eigentumsrecht.

Nicole Rippin: Wachstum für alle?
Kernidee des pro-poor-growth-Konzepts ist es, wirtschaftliches Wachstum als Maßnahme zur Armutsbekämpfung einzusetzen. Doch inwiefern sind dieses entwicklungspolitische Konzept und seine Instrumente auf Deutschland übertragbar?

Claus J. Tully: Nachhaltiger Konsum
Die Begrenzung des Ressourcenverbrauchs rückt auch Konsumgesellschaften in den Blick. Zu nachhaltigem Handeln braucht es nicht nur Theorien zu ökologischen Risiken, sondern auch Sensibilität für die Handlungsfolgen aus Konsum.

Christian Neuhäuser: Faires Wachstum und die Rolle der Unternehmen
Testfall für die Idee eines fairen Wachstums sind die Unternehmen als ökonomischer Motor der Gesellschaft. Was kann man von ihnen erwarten? Wie können sie dazu bewegt werden, faires Wachstum zu unterstützen? Der Beitrag bietet Anregungen.